×

Fünf Fragen an Landrat Jürgen Müller (Herford)

Jürgen Müller (SPD) ist in diesen Tagen vielbeschäftigt. Der 60-Jährige ist seit Oktober 2015 Landrat des Kreises Herford. Der zweifache Familienvater stellt sich im Rahmen der Kommunalwahl am 13. September 2020 der Wiederwahl. Zudem halten ihn und seine Mitarbeitenden die Folgen der Corona-Pandemie mächtig auf Trab. Mit dem leidenschaftlichen Handballer („Ich war bei meiner Figur ein Außenspieler und am Kreis aktiv. Ich bin immer dahin gegangen, wo es weh tut: in der Abwehrmitte, wo man einstecken muss, aber auch austeilen kann“), sprach TS-Mitarbeiter Huck.

Als Landrat mussten Sie zuletzt sicherlich einigen Bürgern und Bürgerinnen Trost spenden, wenn sie durch die Corona-Pandemie in Not geraten sind. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Jürgen Müller: Über die Corona-Krise habe ich viele positive Erfahrungen gemacht, was die Entwicklung des Miteinanders angeht. Ich habe wahrgenommen, dass in dieser extremen Krise plötzlich alle zusammengerückt sind. In der Bevölkerung habe ich wahrgenommen, dass jeder bereit ist, für den anderen etwas zu tun. Die Schwierigkeiten und Probleme mit der Krankheit will ich nicht wegdiskutieren. Das war und ist aber auch eine Chance für die Gesellschaft. Sie hat sich ein Stück zurückbesonnen darauf, dass wir miteinander auskommen, auf den anderen achten müssen. Und dass wir daraus stärker werden.

Der Beruf des Politikers ist oft nicht leicht. Es gibt Kritik und Anfeindungen von vielen Seiten. Wer spendet Ihnen Zuwendung, wenn es Ihnen schlecht geht?

Jürgen Müller: Ich habe eine Familie. Gerade meine Frau ist immer Gesprächspartnerin. Zu jeder Zeit. Selbst wenn mein Arbeitstag erst um 23 Uhr endet, finden wir Zeit, uns auszutauschen. Meine Frau ist Lehrerin, was sicherlich auch kein einfacher Job ist. Wir erzählen von unserem Erlebten. Jeder trägt somit den anderen mit. Auch beruflich habe ich ein tolles Umfeld. Mit meinen Mitarbeitenden kann ich sprechen und meine Sorgen schildern. Sie helfen mir auch menschlich weiter. Es ist ein vertrauensvoller Umgang. Das macht es für mich einfacher. Wer sich in eine solche Position hineinbegibt, muss auch bewusst sein, dass es Kritik gibt.

Der Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verdeutlicht die Gefahr, der Politiker ausgesetzt sind. Sind durch diesen tragischen Fall bei Ihnen Zweifel am Beruf aufgekommen?

Jürgen Müller: Nein. Auch Angst ist nicht aufgekommen. Man muss mit solchen Dingen leben. Die Situation, dass Politikerinnen und Politiker bedroht werden, ist real. Es gibt unterschiedliche Umgehensweisen damit. Ich bin keiner, der dieses öffentlich macht. Ich habe ein gutes Verhältnis zur Kreispolizeibehörde. Ich frage dort nach, wie sie eine Angelegenheit einschätzen und wie wir umgehen sollten, wenn eine derartige Bedrohung da ist. Es ist aber zum Glück kein tägliches Geschäft. Aber es passiert eben. Deshalb würde ich den Job nicht hinschmeißen. Er macht mir großen Spaß, und ich bin immer noch mit Leidenschaft dabei.

Haben Sie Mitleid mit Ihrem Gütersloher CDU-Kollegen Sven-Georg Adenauer, der es in Rheda-Wiedenbrück mit einem Corona-Hotspot beim Großschlachter Tönnies zu tun hat(te)?

Jürgen Müller: Ich war ein Stückchen geschockt, als ich Kenntnis von den Zahlen bekam. Im Kreis Herford haben wir zunächst geschaut, wie die Gefahrenlage eigentlich ist. Sie stellte sich für unseren Kreis als nicht so dramatisch dar. Zu den Arbeitsbedingungen bei Tönnies möchte ich bewusst nichts sagen. Ich halte sie jedoch für untragbar. Der Gesetzgeber hat seinen Job nicht richtig gemacht. Ich hatte auch Kontakt mit Herrn Adenauer. Und ich habe viel Verständnis dafür, dass er die Gefahr eingrenzen musste und dadurch Maßnahmen getroffen hat, die die Bevölkerung belastet haben.

Welche Bedeutung hat für Sie die Telefonseelsorge bei der Lösung von Sorgen und Ängsten?

Jürgen Müller: Das ganze ehrenamtliche Krisenteam, das wir haben, ist extrem wichtig. Als Landrat bin ich auch Leiter der Kreispolizeibehörde. Wenn eine Handyortung notwendig ist im Fall eines Vermissten, muss ich als Behördenleiter die Anordnung geben. Auch nachts. Es handelt sich dabei meistens um Suizidfälle. In diesem Zusammenhang ist, was die Telefonseelsorge macht oder auch unser Krisendienst leistet, absolut unverzichtbar. Das ist eine so wichtige Hilfe. Wir hatten einmal eine kurze Phase, als unser Krisendienst nicht zur Verfügung stand. Im Schnitt gibt es mormalerweise einen Anruf wöchentlich bei mir. Als der Krisendienst nicht zur Verfügung stand, habe ich acht Anrufe erhalten. Das zeigt, dass die Menschen außerhalb der professionellen Strukturen einen Ansprechpartner brauchen. Die Arbeit der Telefonseelsorge ist für die Menschen daher unverzichtbar.

Herr Müller, wir bedanken uns für das Gespräch.