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„Das Herz ist bekannt als Sitz der Seele“

Interview mit Prof. Gummert, Chef des Herzzentrums

Neben seinem Schreibtisch hängen ein Paar rote Boxhandschuhe. Er hat sie zu seinem 50. Geburtstag von seinen Mitarbeitern bekommen. Benutzt hat er sie noch nicht. Prof. Jan Gummert, 1963 in Essen geboren, ist seit Februar 2009 Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen. Mit dem 57-Jährigen sprach unser Mitarbeiter Huck über die Bedeutung des Herzens in medizinischer und seelischer Hinsicht, über quälende Wartezeiten der Patienten auf ein Spenderherz, über psychische Auswirkungen beim Transplantierten und über das eigene Empfinden nach nicht gelungenen Operationen

Die Telefonseelsorge und Sie als Mediziner haben beide mit dem Herzen zu tun. Sie als Operateur des Organs und wir als Zuhörer bei seelischen Herzschmerzen der Anrufer. Welche Bedeutung hat für Sie das Herz?

Jan Gummert: In erster Linie ist das Herz ein Organ für mich, das erkrankt ist und wir viele Möglichkeiten haben, es zu reparieren und möglicherweise sogar zu heilen. Das ist ungeheuer befriedigend. Das Herz hat für den Menschen eine noch andere Dimension und Bedeutung.  Das ist für mich fast genau so wichtig. Operieren wir Menschen am Herzen, sehen wir oft, dass sie ein mulmiges Gefühl bekommen. Es geht an ihr Innerstes. Es ist vielleicht die Seele, die dem Operateur präsentiert wird. Wir operieren nicht nur aus technischen Überlegungen, sondern wir sehen den Gesamtmenschen. Das ist unser Credo im HDZ. Wir haben eine Abteilung für Psychologie, die sich um die Patienten kümmert, die besonders viel Stress vor einer Herzoperation haben.

Es gibt mehr potenzielle Herzempfänger als Spenderherzen. Was sagen Sie den Patienten, die schon wieder nicht an der Reihe sind und sich weiter gedulden müssen?

Gummert: Es ist nach wie vor ein Riesenproblem für Patienten, die teilweise monatelang bei uns in der Klinik warten. Die Hauptlast tragen die Pflegekräfte, die jeden Tag mit den Patienten arbeiten. Sie sind erste Ansprechpartner für Fragen, warum gerade sie noch nicht dran sind. Die Situation, es muss jemand sterben, dass ich weiterleben kann, lässt teilweise Schuldgefühle bei ihnen aufkommen. Bei Visiten ist es auch für mich schwer, jemanden zu trösten, der schon zwei oder drei Monate auf sein neues Herz wartet. Am Ende des Tages ist es aber das wichtigste, dass man auch ehrlich mit der Situation umgeht und dem Patienten vermittelt, dass alles für ihn getan wird, die Wartezeit zu überstehen. Solche Situationen belasten auch mich, da ich kein Spenderorgan herbeizaubern kann.

Gibt es auch Patienten, die Sie ohne Operation nach Hause entlassen?

Gummert: Die Patienten, die einmal so herzkrank sind, dass sie mit einer sehr hohen Dringlichkeitsstufe auf die Transplantation warten, sind so schwer erkrankt, dass entweder eine Transplantation durchgeführt werden kann oder beim Herzpatienten ein Herzunterstützungssystem zum Einsatz kommt. Ist das Herz einmal so schlecht geworden, dass wir hochdringlich auf ein Spenderherz warten müssen, muss der Patient in der Klinik warten.

Die zweite Möglichkeit neben der Transplantation ist also das Kunstherz.

Gummert: Das Kunstherz ist in den allermeisten Fällen ein Herzunterstützungssystem. Das eigene Herz bleibt im Körper. Nur in den seltensten Fällen muss das Herz komplett entfernt werden. Diese Unterstützungssysteme sind technisch auf einem sehr hohen Niveau. Sie sind aber nach wie vor kein vollwertiger Ersatz für das menschliche Herz. Das menschliche Herz ist einfach so genial konstruiert von der Natur. Wir werden noch Jahrzehnte brauchen, um einen adäquaten Ersatz zu finden.

Wie groß ist derzeit die Warteliste auf ein Spenderherz?

Gummert: Wir haben eine Warteliste von 100 Patienten.

Woher kommen die Herzen, die in Bad Oeynhausen transplantiert werden?

Gummert: Deutschland ist Mitglied im Eurotransplant-Verbund. Dieser ist nicht gleichzusetzen mit der Europäischen Union. Es sind dort weitaus weniger Länder verknüpft. Deutschland hat mit seiner Bevölkerung einen Anteil von 60 Prozent an der Gesamtbevölkerung im Eurotransplant-Verbund. Wir fahren deshalb mit Teams auch ins Ausland, um ein Spenderorgan zu entnehmen. Umgekehrt kommen auch Entnahmeteams nach Deutschland. Warten wir dringlich auf ein Spenderorgan, hat dieser Patient Priorität im gesamten Eurotransplant-Verbund. Damit ist die Chance, dass er rasch ein Organ bekommt  größer, als wenn wir isoliert nur in Deutschland Spenderorgane entnehmen würden.

Hat das neue Spenderherz psychische Auswirkungen beim Transplantierten?

Gummert: Patienten haben teilweise durchaus die Angst, Eigenschaften des Spenders übernommen zu haben. Das Herz ist bekannt als Sitz der Seele. In anderen Regionen gibt es ethnische Vorbehalte. Ist es das Herz eines Afroamerikaners oder ist es das Herz eines Weißen? Oder in Israel. Ist es das Herz eines Palästinensers oder umgekehrt? Es gibt aber auch andere Ängste. Wird das neue Herz von meinem Körper angenommen? Abstoßreaktionen können wir medizinisch mit Medikamenten kontrollieren. Aus all diesen Gründen brauchen wir die Unterstützung von Psychologen, die mit den Patienten arbeiten und ihnen vermitteln, mit diesen Ängsten umzugehen.

Wie sieht die psychologische und seelsorgerischen Betreuung vor einer Operation aus?

Gummert: Vor einer Operation ist die ganz wichtige Aufgabe der Psychologen zu erkennen, ob der Patient überhaupt in der Lage ist, eine so komplexe Therapie wie eine Transplantation mitzumachen.

Wie oft nehmen Sie noch selber das Skalpell in die Hand?

Gummert: Ich führe noch regelmäßig am Tag einige Operationen durch. Als Klinikdirektor habe ich einen eng getakteten Tagesablauf, so dass ich Notfälle nur noch selten operiere.

Als ärztlicher Direktor sind Sie Chef von rund 2.300 Mitarbeitern. Wie ist das Verhältnis zwischen praktischer Arbeit am Skalpell und Verwaltungstätigkeiten?

Gummert: Ich befinde mich in Bad Oeynhausen in einer komfortablen Situation. Hier im HDZ arbeiten die Administration und die medizinische Seite sehr eng zusammen. Letztendlich habe ich nicht so viele Verwaltungsaufgaben, so dass ich klinisch noch sehr aktiv sein kann. Das ist für mich eine ganz große Freude. Das ist das, war ich gelernt habe. Das ist meine Spezialität. Natürlich möchte ich weiter als Chirurg tätig sein. Das kann ich in Bad Oeynhausen in großem Maße noch machen, weil hier eine so gute Aufgabenteilung besteht.

Wie gehen Sie mit dem Tatbestand um, dass nicht jede Operation gelingen kann?

Gummert: Es ist eine sehr spannende Frage, weil sie bei vielen Ärzten noch ein Tabuthema ist. Jeder entwickelt im Laufe der Zeit eine eigene Strategie, wie man damit umgeht. In der Ausbildung wird dieses Thema nicht erörtert. Man muss das Glück haben, einen klinischen Lehrer zu haben, der vorlebt, wie man mit Misserfolgen umgeht, wenn es mal nicht funktioniert hat. Das Entscheidende ist, dass man als Chirurg ehrlich zu sich sein muss. Ich muss mich fragen, hätte ich etwas besser machen können. Die Schuld darf man nicht bei anderen suchen. Man muss auch manchmal akzeptieren, dass es eine höhere Ebene gibt. Sie entscheidet, was passiert. Man kann die Natur nicht überlisten. Meine persönliche Strategie ist, Niederlagen nicht zu verstecken. Man muss sie akzeptieren. Man muss mit den Angehörigen aber auch mitleiden und Empathie empfinden, weil sonst ist man nur noch Techniker. Seit 1991 bin ich in der Herzchirurgie tätig. Man macht eine gewisse Entwicklung durch und erkennt immer besser, wann mute ich einem Patienten eine gewisse Operation zu und wann ist es vielleicht gar nicht mehr sinnvoll, einem Menschen eine große Operation zuzumuten.

Müssten der Gesetzgeber, die Krankenkassen oder die Fachleute wie Sie nicht zu drastischeren Werbemaßnahmen greifen, um zu einer höheren Prävention zu kommen? Dann wären doch viele Transplantationen unnötig.

Gummert: Natürlich wäre es gut, wenn Prävention eine viel größere Rolle spielen würde. Ich fürchte, die menschliche Natur ist darauf aber nicht angelegt. Ich erlebe es bei den täglichen Gesprächen mit meinen Patienten. Ich sage beispielsweise einem jüngeren Patienten, sie müssen jetzt ihr Leben umstellen, sie müssen mehr Sport treiben und das Rauchen einstellen, sie müssen beruflich kürzer treten, damit sie ihr Herz einfach schonen, dann sehe ich häufig in den Augen, dass sie es einige Wochen durchstehen, danach fallen viele wieder in den alten Trott. Das Problem ist der Mensch selber.

Welche Bedeutung hat das HDZ in Deutschland und in Europa?

Gummert: Ich bin wirklich stolz darauf, in diesem Zentrum arbeiten zu dürfen. Man darf nicht vergessen, dass die Gründer Prof. Gleichmann und Prof. Körfer das HDZ auf ein Weltniveau geführt haben. Ich bin dankbar, dass die Mitarbeiter des HDZ dieses Niveau in den letzten 11 Jahren nicht nur  halten sondern auch weiter ausbauen konnten. Das HDZ ist weltweit als anerkannte Größe bekannt.

Was macht ein international geschätzter Herzchirurg eigentlich in seiner Freizeit?

Gummert: Ich fahre gerne Fahrrad und spiele Golf. Es sind tolle Hobbys als Ausgleich zum Beruf. Ich muss mir diese Freizeit schon aktiv nehmen. Es ist auch ein bisschen Selbstschutz. Aber die Arbeit macht mir immer noch großen Spaß, dass ich die Hobbys manchmal vergesse.

Ich bedanke mich für das Gespräch.